Auf Hermann Hesses Spuren rund um Calw
Mittel
"Oh, ihr Wanderburschen, ihr fröhlichen Leichtfüße, jedem von euch sehe ich wie einem König nach, mit Hochachtung, Bewunderung und Neid. Jeder von euch hat eine unsichtbare Krone auf, jeder von euch ist ein Glücklicher und Eroberer. Auch ich bin euresgleichen gewesen, und weiß, wie Wanderschaft und Fremde schmeckt. Sie schmeckt, trotz Heimweh, gar süß. ( ... ) Noch einmal jung, unwissend, ungebunden, frech und neugierig in die Welt hineinzulaufen, hungrige Kirschenmahlzeiten am Straßenrande zu halten und bei den Kreuzwegen das 'rechts oder links' an den Rockknöpfen abzuzählen! Noch einmal kurze, laue, duftende Sommernächte unterwegs im Heu verschlafen, noch einmal eine Wanderzeit in harmloser Eintracht mit den Vögeln des Waldes, mit den Eidechsen und Käfern leben. Das wäre wohl einen Sommer und ein paar neue Stiefelsohlen wert".
( Aus: Hermann Hesse: Lindenblüte (1906), in: Sämtliche Werke, Band 13: Betrachtungen und Berichte 1899-1926, Suhrkamp Verlag 2003, S. 149 f. )
Hermann Hesse war selbst ein begeisterter Wanderer, wie schon das an den Anfang gestellte Zitat zeigt. Bereits in seiner Jugend hat Hesse in seiner schwäbischen Heimat, im Nordschwarzwald, im Gäu und auf der Schwäbischen Alb "Fußreisen" unternommen. Später hat sich der Radius, den er sich zu Fuß erschlossen hat, auf die Bodenseegegend, den Schweizer Jura, das Berner Oberland, das Tessin, das Oberengadin und auf Oberitalien erweitert. Viele Reise- und Wanderskizzen in seinem Werk, so zum Beispiel in dem Bändchen "Wanderung", legen davon Zeugnis ab. Auch sind mehrere seiner Romanfiguren Wanderer: so zum Beispiel Peter Camenzind, Knulp, Goldmund oder Klingsor. Von daher liegt es nahe, sich als Wanderer auf Hermann Hesses Spuren zu begeben.
Details der Tour
Empfohlene Jahreszeit
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Besonderheiten der Tour
Kulturelle Highlights
Beschreibung
Der Weg hat alles, was man sich von einer Wanderung wünscht. Unterwegs schöne Wälder, das interessante Bergstädtchen Zavelstein mit seiner romantischen Burgruine, und den Badeort Teinach mit seiner komfortablen Therme, in der sich müde Wanderer bestens regenerieren können. Von Bad Teinach geht es dann durchs Teinachtal ins Nagoldtal hinaus. Und von dort aus wieder zurück in in die Hermann-Hesse-Stadt Calw.
Unterwegs gibt es manches Geschichtsträchtige zu entdecken, und Sagen und Mythen begleiten uns auf Schritt und Tritt.
Hermann Hesse war hier gerne und viel unterwegs und kann uns dazu einiges erzählen.
Hermann Hesse
Schwarzwald
Seltsam schöne Hügelfluchten,
dunkle Berge, helle Matten,
rote Felsen, braune Schluchten,
überflort von Tannenschatten!
Wenn darüber eines Turmes
frommes Läuten mit dem Rauschen
sich vermischt des Tannensturmes,
kann ich lange Stunden lauschen.
Dann ergreift wie eine Sage,
nächtlich am Kamin gelesen,
das Gedächtnis mich der Tage,
da ich hier zu Hause gewesen,
da die Fernen edler, weicher,
da die tannenforstbekränzten
Berge seliger und reicher
mir im Knabenauge glänzten.
( Aus: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 10: Die Gedichte, Suhrkamp Verlag 2002, S. 75 )
Wegbeschreibung
Folgen Sie den Schilderstandorten und der Routenmarkierung des Schwarzwaldvereins:
Calwer Markt, Stadtgarten, Gimpelstein, Schafott, Schafottweg, Saatschule, Wildgehege, Beim Wölflesbrunnen, Rötelbachtal, Über dem Rötelbachtal, Im Rötelbachtal, Zavelsteiner Brückle, Unterer Waldacker, Oberer Waldacker, Schnappenrad, Schulstraße, Weihreute, Uhlandstraße, Dächleinsquelle, Rathaus, Freibad-Parkplatz, Langsches Brückle, E-Werk, Bahnhof Bad Teinach, Kentheim, Baumwollspinnerei, Rudersberg, Calwer Markt
Der Weg nach Zavelstein und Teinach ist Teil des Schwarzwald-Ostweges von Pforzheim nach Schaffhausen am Rhein, der durchgehend mit einer schwarz-roten Raute markiert ist. Danach folgen wir den anderen Rauten-Markierungen des Schwarzwaldvereins. Ein Stück des Weges verläuft auch ohne Markierung.
Vom unteren Ende des Calwer Marktplatzes die Salzgasse hinaufgehend, erreicht der Weg bereits nach 100 Metern bergauf den Stadtgarten, einen im 19 . Jahrhundert angelegten Waldpark, der eine große Vielfalt von Baumarten aufweist. In diesem ist auch von Interesse, dass entlang der Wege Stelen mit Gedichten Hermann Hesses und alten Ansichten von Calw aufgestellt sind. Oberhalb der "Schillerstraße", die nach kurzem Anstieg durch den Park überquert wird, wendet der Weg sich bei einem Rondel mit Stelen, die Jahreszeitengedichte verschiedener Dichter zur Lektüre anbieten, nach links und führt wenig später auf einer kleinen Holzbrücke über den Schießbach. Nach weiteren 300 Metern erreicht der Weg sodann den Gimpelstein, einen für die Westseite des Nagoldtals typischen roten Buntsandsteinfelsen, von dem aus man noch einmal einen Blick über die tief unten liegende Calwer Altstadt und auf die gegenüberliegende Gäuseite des Nagoldtals hat. Unterhalb des Felsens stehen am Weg die mächtigen "Annabuchen", die bereits zu Hesses Jugendzeit da standen und bei Familienspaziergängen gern aufgesucht wurden, wie wir aus Briefen wissen. Oberhalb des Gimpelsteins bei einem Umsetzermast erreicht der Weg bereits die Talkante und führt nun relativ eben durch Nadelwald. Nach einem knappen halben Kilometer taucht links vom Weg das aus Buntsandsteinen erbaute Schafott auf.
Die alte Richtstätte der Stadt ist heute ein Waldidyll, und das war sie auch schon zu Hermann Hesses Jugendzeit; die letzte Hinrichtung lag auch damals bereits über ein halbes Jahrhundert zurück; in der alten "Heimatkunde vom Oberamt Calw" wird darüber berichtet: "Am 28. August 1818 wurde eine Raubmörderin, Gertrude Pfeiflin von Teinach, hingerichtet. Diese war im Gefängnis, dem 'Langen' - dem heute noch existierenden Stadtturm oberhalb der Stadtkirche - so dick geworden, daß sie auf einem Karren zur Richtstätte geführt werden mußte. Während der Überführung wurde das 'Arme-Sünder-Glöcklein' auf dem Rathaus geläutet. Am Schafott angekommen, bekam die 'Arme Sünderin' eine Ohnmacht, so daß sie vollends hinaufgetragen werden mußte. In der Mitte des Schafotts war ein Stuhl aufgeschlagen, auf den die Mörderin aufrecht festgebunden wurde; rings um das Schafott waren Gerüste für Richter und Zuschauer (Erwachsene und Schulkinder) errichtet. Nachdem der Mörderin von den Henkersknechten die Augen verbunden waren und ihre Kutte am Hals los- und aufgebunden worden war, wurde vom Richter nochmals das Urteil verlesen und hierauf der Scharfrichter zum Vollzug des Urteils aufgefordert. Dieser ließ sich nun von seinen Knechten das zweischneidige Richtschwert reichen und vollzog den schaurigen Auftrag. Hernach ließ er sich - wieder von seinen Knechten - den Kopf der Gerichteten reichen und fragte, den abgehauenen Kopf hochhaltend: 'Habe ich recht gerichtet, wie das Recht und Urteil spricht?', worauf die Menge mit 'Ja' antwortete. Damit war die schauerliche Hanndlung vollendet. Der Kopf der Raubmörderin wurde auf einen Spieß gesteckt und zur Abschreckung öffentlich ausgestellt."
Schnell fort vom Ort des grausigen Geschehens, der heute so harmlos-idyllisch wirkt! Nach einem weiteren halben Kilometer geradeaus, zweigt der Weg halbrechts ab und führt als Pfad an einem Spiel- und Grillplatz vorbei. Kurz darauf stößt er jenseits einer Wegkreuzung auf ein Wildschweingehege, in dem sich diese Tiere, die man in freier Wildbahn auch hier im Nordschwarzwald nicht mehr leicht zu Gesicht bekommt, schön beobachten lassen, besonders im Frühjahr, wenn sich ganze Kinderstuben schwarz-weiß gestreifter, munter spielender Frischlinge im Gehege tummeln. An der Futterhütte vorbei kommt man zum hinteren Ende des Geheges. Hier geht ein kleiner Pfad nach rechts in den Wald hinein. Auf ihm kommt man nach etwa 50 Metern zum Wolflesbrünnele, das unter einer Eibe aus dem Fels fließt und das Hesse besonders geliebt hat, so dass er sich noch im Alter in Briefen immer wieder daran zurückerinnert hat.
Wer viel Zeit hat, könnte von hier aus einmal um das ganze Wildschweingehege herumwandern, wobei man auch zu einer in das Gehege ein Stück hineinführenden Holzplattform kommt, von der man die Tiere besonders gut beobachten kann.
Wer das nicht möchte, geht vom Brünnele gleich wieder die 50 Meter zu dem geschotterten Waldweg zurück und folgt diesem nach rechts weiter, bis er nach ca. 250 Metern an die Kante des tief eingeschnittenen Rötelbachtals kommt. Dort führt ein kleiner Waldpfad nach links im Zickzack in das Tal hinunter, wo man dann direkt am Bach einen idyllischen Pfad einen knappen Kilometer hinaufwandern kann, bis man zum Zavelsteiner Brückle kommt.
Die Zeilen "rote Felsen, braune Schluchten/ überflort von Tannenschatten" aus Hermann Hesses Schwarzwald-Gedicht lassen sich hier besonders gut nachempfinden.
Das "Zavelsteiner Brückle" ist ein Ort, der sich seit altersher mit zahlreichen Geistersagen verbindet. Besonders nachts soll es hier nicht geheuer sein. Aber auch am Tag, wenn einem zum Beispiel ein Schmetterling unter der Brücke hervor entgegengaukelt, sollte man vorsichtig sein. In dieser Gestalt soll nämlich einst ein böser Hausgeist aus dem oberhalb liegenden Dörfchen Speßhardt von einem Mönch unter die Brücke gebannt worden sein.
Sobald man das Brückle, hoffentlich unbeschadet, hinter sich gebracht hat, muss man entweder auf dem hier steil bergauf führenden Sträßchen oder auch auf dem einige Meter seitwärts im Wald parallel laufenden Pfad hinauif wandern, wobei nach kurzer Strecke ein anderes Sträßchen überquert wird. Nach etwa 500 Metern erreicht man zunächst eine große Waldwiese und kurz darauf den Waldrand oberhalb von Zavelstein. An der dortigen Straßenkreuzung eröffnet sich die Möglichkeit, entweder nach links zum Wanderheim des Schwarzwaldvereins zu gehen, wo man Verpflegung bekommen kann, oder gleich geradeaus nach Zavelstein hinunter zu wandern.
Zuvor sollte man hier oben aber auf alle Fälle noch ein wenig stehen und schauen. Die Wiesen hier sind die berühmten Zavelsteiner Krokuswiesen, auf denen im zeitigen Frühjahr, noch bevor die Wiesen richtig grün werden und andere Blumen kommen, der wilde Safran mit seinen violetten Blüten und safrangelben Staubfäden hervortreibt und einen wunderbaren Blütenteppich bildet. Er soll einst als Samen aus Oberitalien in den Burggarten von Burg Zavelstein gebracht worden und von dort dann ausgewildert sein. Wie fast alle Calwer früher, ist auch die Familie Hesse Jahr für Jahr nach Zavelstein hinausgewandert, um dieses Naturschauspiel zu bestaunen. Hermann Hesse bedauert es in einem Brief an die Familie deshalb sehr, als er es 1896, während seiner Ausbildung zum Buchhändler in Tübingen, einmal nicht schafft, im März nach Calw zu reisen und von dort nach Zavelstein zur Krokusblüte zu wandern.
Zavelstein galt über lange Zeit als das kleinste Städtchen Deutschlands. Die Stadtrechte soll es bereits 1367 verliehen bekommen haben, als es noch aus der Burg und ein paar Häusern auf dem zur Burg führenden Bergsporn bestand.
Graf Eberhard II. von Württemberg, auch "der Greiner'' oder "der Rauschebart" genannt, bedankte sich mit dem Stadtrecht dafür, dass er in den Mauern Zavelsteins Schutz vor seinen Feinden, dem Ritterbund der "Martinsvögel", fand, die ihn im Wildbad überfielen, als er dort zur Badekur und Jagd weilte. Ein Hirte soll ihn dabei auf einsamen Pfaden zur Burg Zavelstein gebracht haben. Ludwig Uhland hat im 19 . Jahrhundert über dieses Geschehen eine Ballade mit dem Titel "Der Überfall im Wildbad" verfasst. Die "Martinsvögel", die nach der Keule in ihrem Wappen auch die "Schlegler" genannt wurden, waren ein Zusammenschluss von Grafen und Rittern, deren Besitz an den der Württemberger grenzte und die verhindern wollten, dass die Württemberger ihre Macht durch Erwerb umliegender Besitztümer immer mehr erweiterten. Eberhard "der Greiner", was "der Zänkische" bedeutet, hatte zum Beispiel 1345 auch große Teile der Grafschaft Calw samt Burg Zavelstein und Teinach erworben. Als Eberhard II. den "Schleglern" 1367 im Wildbad entkam, legten diese den Badeort in Schutt und Asche. Der Kampf zwischen den verfeindeten Parteien konnte erst im Jahre 1395 durch Eberhard III. zu Gunsten des Hauses Württemberg entschieden werden, das dadurch zur endgültig dominierenden Macht der Region wurde.
Über die Anfänge von Zavelstein ist nichts Sicheres bekannt. Die Bauweise und die mächtigen Buckelquader des Bergfrieds lassen auf eine Erbauung im 12. Jahrhundert, das heißt zur Stauferzeit, schließen. Bauherren waren wohl die in der Gegend reich begüterten Grafen von Calw, die hier eine Vogtsburg errichteten. Die Burg wurde 1692, wie auch Calw und Kloster Hirsau, von den Truppen Melacs, des Feldherrn des französischen Königs Ludwig XIV., zerstört und danach nicht wieder aufgebaut . Nur der Turm wurde 1813 wieder besteigbar gemacht, und dies sollte man unbedingt nutzen, um den wunderbaren Rundblick von oben zu genießen.
"Kleine Burg für wenig Mannen,
Städtlein eng und schmal,
rings des des Schwarzwalds Edeltannen,
unten tief das Teinachtal."
So hat Victor von Scheffel Burg und Städtchen bedichtet, als er im 19. Jahrhundert bei einem seiner Badeaufenthalte in Teinach hier stand. Weit schweift der Blick vom Turm über das Tal und die bewaldeten Höhen dahin, aus denen die Rodungsflächen der Waldhufendörfer leuchten, so dass einem auch die Worte Hermann Hesses wieder durch den Sinn gehen:
"Seltsam schöne Hügelfluchten,
dunkle Berge, helle Matten."
Tief unten liegt Bad Teinach unser nächstes Wanderziel, das auf einem Zickzackpfad zu erreichen ist, der unmittelbar von der Ruine Zavelstein talwärts führt.
"Tal der edlen Sprudelquelle,
Bächlein, Heimat der Forelle,
harz'gen Edelwaldes Lüfte,
buntdurchblühter Wiesen Düfte,
Brunnen, Badehaus , Lindenhallen,
alles hat mir wohlgefallen."
So empfand es damals der schon zitierte Victor von Scheffel.
Ein wenig beeinträchtigt ist die Idylle heute durch die großen Abfüll- und Lagerhallen der Mineralbrunnen AG; hier hat das weithin beliebte Mineral- und Heilwasser von Bad Teinach seinen Tribut gefordert. Der alte Kern des Heilbades um das Hotel Therme Teinach herum ist aber ansprechend restauriert und um ein modernes, gut in den Kurpark eingepasstes Thermalbad erweitert worden.
Als durstiger Wanderer sollte man keinesfalls versäumen, das Teinacher Heilwasser, die "Hirschquelle", zu trinken. Ihren Namen soll sie dadurch bekommen haben, dass die Quelle von einem Jäger entdeckt worden sein soll, der einen waidwunden Hirsch im Teinchtal verfolgte und diesen schließlich bei einer Quelle fand, in welcher der Hirsch seine Wunden badete. Er schloss daraus, dass dies eine heilkräftige Quelle sein müsse, und dies stellte sich dann als zutreffend heraus. Hermann Hesse hat diese Sage, die er natürlich schon als Kind in der Schule kennengelernt hatte, in seiner 1928 geschriebenen ''Schwäbischen Parodie" auf die Schippe genommen:
"Eine eigene, ausführliche Darstellung verdiente die Geschichte Knörzelfingens als Heilbad. In alten Zeiten soll ein Graf von Württemberg sich auf der Jagd in das Knörzeltal verirrt haben, und, obwohl er und seine Mannen ringsum Hasen, Hirsche, Fasanen und anderes Wild in Menge erlegten , wurden sie doch dieser erlegten Beute nur selten habhaft und entdeckten, als sie der Sache nachgingen, daß die verwundeten Tiere sich zur murmelnden Knörzel schleppten, aus ihr tranken oder sich in ihr wuschen und alsbald gesund wieder in die prächtigen Wäder liefen, die noch heute der Schmuck der Gegend sind. So entstand der Ruf des Knörzelwassers und seiner Heilkraft und das Tal wurde jahrhundertelang, ähnlich wie so manches andere begnadete Tal unserer Heimat, von Kranken aller Art besucht, namentlich aber von Leuten, welche an Gicht und Rheumatismen litten".
( Aus Hermann Hesse: "Sämtliche Werke", Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2001, Band 8, Seite 422 f. )
Wann genau die Heilkraft der Quellen von Teinach entdeckt und für Badezwecke erschlossen wurde, ist indes nicht bekannt. Erstmals urkundlich erwähnt wird Teinach 1345 im Zusammenhang mit dem Übergang des Ortes in württembergischen Besitz. 1473 war es jedenfalls schon ein bekanntes Heilbad, denn es wurde in diesem Jahr von einer Runde hoher Herrschaften aufgesucht: Graf Eberhard "im Bart" von Württemberg, Herzog Ludwig von Bayern, Pfalzgraf Friedrich bei Rhein sowie den Bischöfen von Speyer, Worms und Eichstädt. 1617 ließ Herzog Johann Friedrich die Badeeinrichtungen durch seinen Baumeister Heinrich Schickhardt ausbauen. 1662 stiftete dessen Nachfolger Herzog Eberhard III. dem Ort eine Kirche, zu deren Ausschmückung die Schwester des Herzogs, Prinzessin Antonia, einen Flügelaltar mit einer kabbalistischen Lehrtafel anfertigen ließ, die in geheimnisvollen Bildern christlich-jüdischer Mystik, die von hebräischen Schriftzeichen umrahmt sind, das Weltbild jener Zeit symbolisiert. Dieses ikonographisch einmalige Barock-Kunstwerk hat alle Zeitwirren überstanden und kann in der Teinacher Kirche täglich zwischen 10 und 17 Uhr besichtigt werden. Herzog Eberhard Ludwig, der Gründer von Ludwigsburg, ließ das Palais bauen und die Parkanlagen erweitern; außerdem feierte er 1731 in Teinach die Versöhnung mit seiner Gemahlin, nachdem er seiner langjährigen Mätresse, der verschwendungssüchtigen Wilhelmine von Grävenitz, zur Freude des ganzen Landes endlich den Laufpass gegeben hatte. Auch der prunkliebende Herzog Karl Eugen kam des öfteren nach Teinach; die "Heimatkunde vom Oberamt Calw" berichtet darüber:
"Im Juli 1770 kam Karl Eugen mit dem ganzen Hofstaat, zu dessen Beförderung man 1200 Pferde benötigte, nach Teinach. Von Teinach aus jagte der Herzog bei Stammheim, wo 50 Hirsche teils geschossen, teils gefangen wurden; auf einer zweitägigen Jagd bei lgelsloch wurden 71 Hirsche und 30 Rehe gefangen."
1835 bis 1844 wurden das Badehaus, das Kurhaus die Trinkhalle, der Saalbau und der Marstall weitgehend' neu gebaut . Aus dieser Zeit stammt im Wesentlichen die Bausubstanz, die heute noch vorhanden ist und vor einigen Jahren renoviert und teilweise neu überbaut wurde; es ist das heutige Thermalbad.
Zur Fortsetzung unserer Wanderung geht man durch den Kurpark talabwärts. Am Ende des Parks, beim Freibad, bleibt man auf der rechten Seite der Teinach und nimmt den Weg, der hinter dem Bad zum Waldrand hochführt und mit einer blau-gelben Raute markiert ist. Dieser Weg führt im Wald auf halber Höhe das Tal entlang, bis er nach etwa 1,5 km eine Bachschlucht durchquert und nach einem weiteren halben Kilometer ein direkt an der Teinach gelegenes Marmorsägewerk erreicht.
Dieses Marmorsägewerk hatte Hesse sehr wahrscheinlich vor Augen, als er 1904 seine Erzählung ''Die Marmorsäge" schrieb, in der es heißt:
"In der kühlen Waldschlucht des Sattelbachs, der alle paar hundert Meter eine Mühle treiben muß, lag stattlich und sauber ein Marmorsägewerk [. .. ]. Als ich das erstemal diesen Hof nach einem Neugierbesuch verließ, nahm ich ein kleines, einseitig poliertes Stückchen weißen Marmors in der Tasche mit; das besaß ich jahrelang und hatte es als Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch liegen."
( Aus: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 6: Die Erzählungen 1900-1906, Suhrkamp Verlag 2001, S. 210 )
Wem der Rucksack noch nicht schwer genug ist, kann dies dem Erzähler ohne Probleme nachtun; vor dem Hoftor ist eine kleine Halde für Marmorabfall.
Von der Marmorsäge ist es noch ein halber Kilometer, bis man auf die von Neubulach herabkommende Straße am Beginn der wenigen Häuser von Station Teinach stößt. Das erste Gebäude rechter Hand ist ein kleines Wasserkraftwerk, das durch einen 1915 errichteten 1800 Meter langen Bergstollen mit Nagoldwasser angetrieben wird. Die Straße am Kraftwerk vorbeigehend, kommt man nach 50 Metern zu der Straßenkreuzung, bei der die von Bad Teinach kommende Straße einmündet, und nach weiteren 50 Metern zu einem Kreisverkehr.
Hier muss man sich entscheiden, ob man nach rechts über die Nagoldbrücke zum dortigen Bahnhof hinübergehen und mit der Bahn nach Calw zurückfahren will, oder aber die knapp fünf Kilometer dahin doch noch zu Fuß gehen möchte.
Für Letzteres geht man beim Kreisverkehr geradeaus an einer Steinmetzwerkstatt und einem ehemaligen Sägewerksgebäude entlang und quert an dessen Ende die nach Calw führende Bundesstraße hinüber zu einem kleinen Sträßchen, das bergauf führt. Nach circa 400 Meter geht rechts ein Waldweg ab, der sich kurz senkt und dann im Wald hoch über der Bundesstraße weitgehend eben verläuft. Auf diesem wird nach einem knappen Kilometer der Waldrand oberhalb von Kentheim erreicht. Bei einer großen Eiche hat man einen Überblick über das Dorf und sieht auch die Kirche, die das nächste Ziel der Wanderung ist. Sie kann erreicht werden, indem man nun entweder direkt den Fußweg ins Dorf hinabgeht und durch dieses hindurch, oder indem der bisherige Weg weitergangen wird, der auf der Höhe um das Dorf herumführt und beim letzten Haus, einem netten kleinen Fachwerkhaus, in das hier herabkommende Rötelbachtal einmündet. Den Rötelbachweg zwischen den Häuser hinabgehend trifft man auf die Bundestraße, auf deren gegenüberliegender Seite das altehrwürdige Kentheimer Kirchlein steht.
Das Kirchlein St. Candidus ist in seinem Ursprung wohl die älteste Besiedlung im Nagoldtal, älter als Calw und wohl auch ein paar Jahre älter als das ältere Kloster St. Aurelius in Hirsau. Es wird vermutet, dass es um 800 n. Chr. vom Bodensee-Kloster Reichenau aus als Einsiedelei gegründet wurde. Es wurde dann zu einer kleinen romanischen Kirche ausgebaut, von der heute noch Reste im Baukörper zu finden sind. 1082 kam diese in den Besitz des Klosters Hirsau, das zu dieser Zeit durch den Bau des großen Klosters St. Peter und Paul die geistliche Herrschaft in der Region übernahm. Die Hirsauer sollen daraufhin einen kleinen Nonnenkonvent in Kentheim eingerichtet haben. Einen Ausbau zu dem heute noch existierenden Gebäude erfuhr das Kirchlein schließlich im 13. Jahrhundert, als auf der bis dahin kaum besiedelten Schwarzwaldseite des Nagoldtals mehr und mehr Siedlungen entstanden, für die Kentheim zur Pfarrkirche bestimmt wurde. In diesem Zusammenhang entstand auch die künstlerisch wertvolle Ausmalung des Kirchenschiffs mit der Geschichte Jesu. Bis ins 15. Jahrhundert hinein war Kentheim Pfarr- und Begräbnisort für 14 umliegende Orte. Erst um 1450, als Zavelstein eine eigene Kirche bekam, verlor Kentheim seine Bedeutung als zentraler Pfarrort. Das pittoreske Kirchlein, das heute als Hochzeitskirche beliebt ist, kann tagsüber besichtigt werden. Neben den wertvollen Fresken im Kirchenschiff hat es auch im Chor schöne Ausmalungen aus dem 15. Jahrhundert, die in der Kuppel Christus als Weltenrichter umgeben von den Symbolen der Evangelisten zeigen und an den Wänden Darstellungen von Sankt Georg, Sankt Candidus und der Heiligen Barbara.
Um nach Calw zu gelangen, geht man vom Kirchlein circa 100 Meter auf dem Gehsteig entlang der Bundesstraße und quert diese hinter der Eisenbahnbrücke auf Höhe der alten über der Nagold liegenden Baumwollspinnerei nach links zu einem Waldweg, der hier bergauf führt. Der Weg führt zu einer kleinen Paßhöhe, auf deren anderer Seite er sich an einer kleinen Ansiedlung vorbei zur Nagold hinuntersenkt. Unter der Eisenbahnbrücke hindurch (über die hier die per Tunnel von Kentheim herkommende Bahn nach Calw fährt) geht man nun am Fluss entlang den Walkmühleweg in Richtung Stadt.
In diesem Bereich ist die Nagold aufgestaut, und wahrscheinlich hatte Hermann Hesse diese Stelle vor Augen, als er im Roman „Unterm Rad“ seine Hauptfigur Hans Giebenrath ein befreiendes Bad in der Nagold nehmen lässt, als er von der Landexamensprüfung aus Stuttgart zurückkam: „Er ging weit vor die Stadt hinaus zur „Waage“, wo das Wasser tief und langsam zwischen hohem Gebüsch dahinfließt. Dort entkleidete er sich, steckte die Hand und darauf den Fuß tastend ins kühle Wasser, schauderte ein wenig und warf sich dann in schnellem Sturz in den Fluß. Langsam gegen die schwache Strömung schwimmend, fühlte er Schweiß und Angst dieser letzten Tage von sich gleiten, und während seinen schmächtigen Leib der Fluß kühl umarmte, nahm seine Seele mit neuer Lust von der schönen Heimat Besitz.“
( Aus: Hermann Hesse: Unterm Rad. Roman. In: Sämtliche Werke, Suhrkamp Verlag 2001, Band 2, S. 154 )
Am Ende des Walkmühlewegs kommt man zur Badstraße, die zum Hermann-Hesse-Platz in der Innenstadt von Calw führt, wo man auf der Nikolausbrücke neben der lebensgroßen Statue Hermann Hesses die Wanderung mit einem Foto stimmungsvoll abschließen kann.
Der Text und die Wegbeschreibung wurden entnommen aus dem vergriffenen Buch "Auf Hermann Hesses Spuren" von Herbert Schnierle Lutz aus dem WALZ Wanderferien Verlag, Neckartenzlingen 1999.